Hintergrundinformationen zum Dokumentarfilm “9 Meister”
Candomblé
Entstehungsgeschichte des Candomblé
Der Candomblé stellt eine afro-brasilianische Religion dar und hat seine eigentliche Wiege in Westafrika. In den Grundzügen geht es im Candomblé darum, einen Austausch zwischen den Menschen, die ihn praktizieren und den Göttern – Orixás genannt, herzustellen. Die Orixás sind im Gegensatz zum obersten Gott Olorun sozusagen „ansprechbar“. Während eines Candomblé-Ritus kann ein Orixá Besitz von einer Person ergreifen. Diese Person bewegt sich dann verschieden von den anderen Kultteilnehmern, die um den Altar tanzen, der sich in der Mitte des speziell für diesen Orixá erbauten Candomblé-Tempels befindet. Jeder Orixá bewegt sich nämlich auf eine ihm ganz spezielle Weise: die besessene Person tanzt, wenn Besitz von ihr ergriffen wurde, wie der Orixá. Jeder Orixá hat einen ihm zugewiesenen Tag, ein ihm zugewiesenes Sternzeichen, Speisen, Getränke und vieles mehr.
Seinen Einzug hat der Candomblé über die Verschleppung der afrikanischen Sklaven nach Brasilien gefunden. In Westafrika haben sich verschiedene Ethnien vermischt, die zum Teil verfeindet waren und den Europäern die jeweils ihnen verfeindeten Stammesangehörigen als Sklaven verkauften. Zwischen 1780 und 1850 erreichte die „Sklaveneinfuhr“ ihren Höhepunkt. Mehr als zwei Millionen Sklaven,- also mehr als die Hälfte aller aus Afrika geraubten Menschen, erreichten in dieser Zeit Brasilien. Viele erreichten die Küstenstadt Salvador da Bahia.
o wurden bis zu ca. 40% der geschätzten zehn bis zwölf Millionen aus Afrika in die Sklaverei Getriebenen nach Salvador da Bahia verschleppt, wo sie auf dem Sklavenmarkt Salvadors verkauft wurden. Insofern resultieren die afrikanischen Wurzeln der heutigen Religion des Candomblé in Brasilien größtenteils aus der Verschleppung der versklavten Afrikaner, die ab dem 16. Jahrhundert, vor allem zwischen dem 18. Jahrhundert und der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert nach Brasilien deportiert wurden.Historisch lässt sich dies darauf zurückführen, dass die einstige Hauptstadt Brasiliens ab 1538 für drei Jahrhunderte hindurch der Dreh- und Angelpunkt für den Sklavenhandel der portugiesischen Kolonialherren in Südamerika gewesen ist.
Die meisten versklavten Afrikaner stammten aus der westafrikanischen Region Nigeria / Benin und waren in der Regel geprägt von der afrikanischen Tradition der Yoruba oder der Bantu. Viele der Yoruba und der Bantu wurden in Brasilien nicht nur als Sklaven auf den Plantagen, sondern vor allem auch als Haussklaven in den Städten eingesetzt. Insofern hier größere Bewegungs- und Kommunikationsfreiheit bestanden, ergaben sich bessere Möglichkeiten, die ursprüngliche afrikanische Tradition auszutauschen. Daher hat der Candomblé hauptsächlich städtische Wurzeln. Entsprechend den Handelswegen, über welche die Sklaven aus Afrika nach Amerika gebracht wurden, finden sich sehr eng verwandte religiöse Gruppen auch in derKaribik, zum Beispiel in Kuba (Santería) und in Haiti (Voodoo). Diesbezüglich wird der Candomblé auch oftmals als „Schwester-Religion“ des Voodoos bezeichnet.
Obwohl die Afrikaner bei ihrer Ankunft in Brasilien kollektiv zwangsgetauft wurden und die Regierungen ihre ursprüngliche Religion verfolgten, zeichnet sich in Bezug auf die katholische Kirche ein ambivalentes Bild. Obwohl auch diese Kirche die afrikanische Religion diskriminierte, schützte sie diese doch vor den ärgsten Übergriffen. Darüber hinaus gründete die katholische Kirche die als „Instrument der Kolonial- und Missionspolitik ins Leben gerufenen schwarzen »Ratsversammlungen« bzw. »Bruderschaften«“ der städtischen Sklaven. Genau diese Kongregationen bildeten dann aber den Rahmen dafür, dass die versklavten Afrikaner ihre ursprünglichen Bantu- und Yoruba-Traditionen bzw. -religionen trotz einer fortschreitenden Deafrikanisierung rekonstruieren und unter dem Deckmantel einer katholischen Volksfrömmigkeit weiter tradieren konnten. Aufgrund der gezwungenermaßen überlebungsnotwendigen Verborgenheit der Ausübung ihrer Riten als auch wegen einer gewissen Affinität des afrikanischen Kultes zum Heiligenkult des Katholizismus kam es im Verlauf der Jahrhunderte zu einer Art Synkretismus.
Nichtsdestoweniger ist herauszustreichen, dass die Ausübung ihrer traditionellen Religion eine sehr bedeutende Rolle in der Funktion der Bewahrung ihrer eigenen Kultur spielte, insofern sie die harten Repressalien, Verfolgungen, Krisen und Rebellionen überdauerte. Der religiöse Ort kann insofern als das letzte Refugium zum Erhalt der afro-brasilianische Identität gelten. Mit der Abschaffung der Sklaverei, die in Brasilien erst 1888 vollzogen wurde, breitete sich der Candomblé immer weiter aus. Während er früher auf die Angehörigen des Sklavenstandes beschränkt war und verfolgt wurde, so ist heute die Religionsfreiheit nicht nur in Brasilien, sondern auch in allen anderen lateinamerikanischen Ländern gesetzlich verbürgt.
Gegenwärtige Situation
Die katholische Kirche verhält sich gegenwärtig gegenüber der afro-brasilianischen Religion relativ neutral, jedoch verdammen noch heutzutage evangelikale Fundamentalisten in Lateinamerika den Candomblé und andere afro-amerikanische Religionen als Teufelswerk. Dagegen hat sich der Candomblé gegenwärtig mit seinen Anhängern in den unterschiedlichsten sozialen Schichten sowie in den verschiedensten Orten der Welt zu einer etablierten Religion entwickelt. Er ist jetzt eine etablierte und weitgehend anerkannte Religion mit Anhängern in allen Gesellschaftsklassen und zehntausenden Tempeln. In neueren Umfragen haben 2 Millionen Brasilianer (1,5 % der Gesamtbevölkerung) erklärt, dass ihre Religion Candomblé ist.
Abgrenzung
In der brasilianischen Kultur schließen sich Religionen nicht gegenseitig aus; viele Leute anderen Glaubens – gemäß einiger afrobrasilianischer Kulturorganisationen bis zu 70 Millionen – nehmen regelmäßig oder gelegentlich an Candomblé-Ritualen teil. Gottheiten, Rituale und Candomblé-Feiertage sind ein wesentlicher Bestandteil der brasilianischen Folklore. Candomblé ist von Umbanda und Macumba zu unterscheiden, die zwei andere afro-brasilianische Religionen mit ähnlichem Ursprung sind. Ebenso ist Candomblé etwas anderes als die ähnlichen Religionen des amerikanischen Kontinents, die ebenfalls afrikanischen Ursprungs sind, wie haitianischerVoodoo oder kubanische Santería und Obeah. Diese entwickelten sich unabhängig von Candomblé und sind in Brasilien nahezu unbekannt.
Nationen
Brasilianische Sklaven stammten von einer Anzahl von ethnischen Gruppen ab, darunter Yoruba, Ewe, Fon und Bantu. Da sich die Religionen der einzelnen Gruppen abhängig von der geographischen Region unterschiedlich weiterentwickelten, unterscheidet man heute zwischen Sekten oder Nationen (Nações), die sich bezüglich der verehrten Gottheiten, der Musik und Feste sowie der religiösen, bei den Ritualen verwendeten Sprache unterscheiden.
Die folgende Liste ist eine grobe Klassifikation der wichtigen Nationen und Unter-Nationen, ihre Regionen und ihre Sakralsprachen:
- Efa und Ijexá in den Bundesstaaten Bahia, Rio de Janeiro und São Paulo
- Nagô oder Egba in den Bundesstaaten Pernambuco, Rio de Janeiro und São Paulo
- Oió-ijexá oder Batuque-de-Nação im Bundesstaat Rio Grande do Sul
- Mina-nagô oder Tambor-de-Mina im Bundesstaat Maranhão
- Xangô in den Bundesstaaten Pernambuco, Paraíba, Alagoas
- Xambá in den Bundesstaaten Alagoas und Pernambuco (fast ausgestorben).
- Bantu, Angola oder Batuque (Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Bahia, Pernambuco, Rio de Janeiro, Minas Gerais, São Paulo, Goiás) – Gemisch aus Bantu, Kibundo, und Kikongo-Sprachen
- Bantu, Angola, oder Batuque (Rio Grande do Sul) – Mischung der Oió-ijexá-Sprachen
- Caboclo (verehrt neben den Orixás noch indianische Gottheiten)
- Jeje. Jeje ist ein Ausdruck aus der Yoruba-Sprache und bedeutet Fremder. Die Jeje-Nation ist erst in Brasilien entstanden. Sie wurde aus Fon gebildet, die hauptsächlich aus Dahomey nach Brasilien gekommen waren. Jeje wird in den Bundesstaaten Bahia, Rio de Janeiro und São Paulo praktiziert. Sie benutzen die Ewe-Fon-Sprache (Jejé).
- Mina Jejé im Bundesstaat Maranhão
- Babaçue im Bundesstaat Pará
Glaube
Candomblé ist eine Form von des Spiritismus und betet eine Anzahl von Göttern oder Geistern an, die von afrikanischen Gottheiten abgeleitet sind:
- die Orixás der Yoruba-Mythologie, die von einem Gottvater, Olorun, geschaffen wurden
- die Voduns der Fon- oder Ewe-Mythologie, die vom Gottvater Mawu geschaffen wurden
- die Inkices der Bantu-Mythologie, die vom obersten Gott Zambi oder Zambiapongo geschaffen wurden.
Candomblé behielt nur einige Dutzend aus den Hunderten Gottheiten, die in Afrika angebetet wurden. Die Gottheiten der unterschiedlichen Nationen decken sich oberflächlich in hohem Grade, d.h. viele Ketu-Orixás können mit Jejé-Voduns oder Bantu-Inkices verglichen werden. In Wirklichkeit können die Kulte, Rituale und Rhythmen der Gottheiten jedoch sehr unterschiedlich sein.
Die Orixás haben ihre Persönlichkeiten, Fähigkeiten und rituelle Präferenzen und werden mit spezifischen natürlichen Phänomenen in Verbindung gebracht (eine Vorstellung, die mit den Kami des japanischen Shintōnicht unähnlich ist). Jede Person bekommt bei ihrer Geburt einen Orixá-Paten, welcher von einem Babalorixá(einem Priester) bestimmt wird. Einige Orixás werden bei Candomblé-Ritualen von eingeweihten Personen verkörpert; bei anderen ist dies nicht üblich, sondern sie werden zum Beispiel durch einen Baum verehrt. Einige andere Orixás, die Efunfun (weiß) genannt werden und der Vorstellung nach bei der Erschaffung der Welt beteiligt waren, werden ebenfalls nicht verkörpert. Über die Jahrhunderte hat der Candomblé viele Elemente des Christentums aufgenommen. So kann man in Candomblé-Tempeln häufig Kruzifixe finden, und Orixás werden häufig mit spezifischen katholischen Heiligen gleichgestellt.
Diese historische Entwicklung war im Teil eine Folge der Verfolgung durch Kirche, Behörden und Sklavenhalter. Um ihre Orixás, Inkices und Voduns verehren zu können, verwendeten die schwarzen Sklaven häufig einen Altar mit Bildern von katholischen Heiligen, worunter sich die Candomblé-Objekte versteckten. Diese Praxis hatte schon bei der Christianisierung Afrikas begonnen und wurde teilweise von den Missionaren selbst eingeführt, um die Konversion zum Christentum zu vereinfachen. Andererseits hat der Candomblé auch indianische Elemente aufgenommen, weshalb man nicht sagen kann, dass die Verfolgung der einzige Grund für die Vermischung mit anderen Religionen gewesen ist. In den letzten Jahren ist eine “fundamentalistische” Bewegung innerhalb des Candomblé entstanden, welche die christlichen Elemente ablehnt und versucht, einen “reinen” Candomblé, der nur auf afrikanischen Elementen beruht, zu schaffen.
Rituale
Das Candomblé-Ritual hat zwei Teile
- Die Vorbereitung, die zuweilen schon eine Woche vor jeder Zeremonie beginnt. Dabei wird der Ort der Zeremonie durch die Eingeweihten gesäubert und geschmückt. Es werden Fahnen in der Farbe des Orixá – zu dessen Ehre die Zeremonie durchgeführt wird – besorgt und am Platz der Zeremonie angebracht und Tiere werden geopfert, wobei ein Teil des Fleisches für die Orixás bestimmt ist, der andere Teil wird für das Festessen am Abend zubereitet.
- Der öffentliche Teil und das Fest besteht darin, dass die heiligen Kinder (filho de santo – die Eingeweihten) beim rituellen Tanz in einen tranceähnlichen Zustand verfallen in welchem sie ihren Körper dem Geist ihres Orixá zur Verfügung stellen, so dass dieser sich in der materiellen Welt manifestieren und mit seiner Umgebung in Interaktion treten kann. Der Babalorixá (Gottvater) führt symbolische Gesänge und Tänze auf, die die Eigenheiten des Orixá in Erinnerung rufen. Das Ritual endet mit einem Bankett.
Die Candomblé-Musik, ein wesentlicher Teil des Rituals, leitet sich von der afrikanischen Musik ab und hat einen starken Einfluss auf andere populäre (nicht-religiöse) brasilianische Musikstile.
Tempel
Die Candomblé-Tempel werden Casas (Häuser), roças oder Terreiros genannt. Es existieren zwei Typen von Casas:
- Große Casas, die einer strengen Hierarchie untergeordnet sind und wo entweder nur Frauen die Führung innehaben (als Ialorixá – Gottmutter) oder beide Geschlechter führen können. Matriarchale Casas sind zum Beispiel:
- Ilé Axé Iyá Nassô Oká – Casa Branca do Engenho Velho – in Salvador da Bahia, welche als ersteCasa gilt, die eröffnet wurde
- Ilé Iyá Omi Axé Iyámase do Gantois – Gantois – Salvador da Bahia
- Ilé Axé Opó Afonjá – Opó Afonjá – Salvador da Bahia
- Ilé Axé Alaketu – Alaketu – Salvador da Bahia
- Terreiro do Bogum – Salvador da Bahia
- Casa das Minas – Gegründet um 1796 – São Luiz Maranhão
Gemischtgeschlechtliche Casas sind zum Beispiel:
- Ilé Axé Oxumare – Casa de Oxumare
- Asé Yangba Oloroke ti Efon – Terreiro do Oloroke
Kleine Casas, die unabhängig sind und vom Babalorixá (Gottvater) oder der Ialorixá (Gottmutter) sowie dem Orixá verwaltet werden und diesen auch gehören. Es gibt hierbei keine zentrale Verwaltung, und im Falle des Todes wird der Tempel entweder von interessierten Verwandten weitergeführt oder geschlossen.
Um in der Hierarchie einer großen Casa aufzusteigen, wird das Erlernen von langwierigen Initiationsriten vorausgesetzt. Nach dem Tode einer Ialorixá, wird ihr Nachfolger normalerweise unter ihren Töchtern gewählt, wobei das Búzios-Spiel zur Wahl eingesetzt wird. Die Nachfolge kann jedoch sehr umstritten sein oder es ist möglich, dass keine Nachfolgerin gefunden wird. Dies führt häufig zur Spaltung oder Schließung von Casas, weswegen nur wenige Casas in Brasilien älter als 100 Jahre geworden sind.
Literaturverzeichnis
- Hohenstein, Erica, Jane de: Das Reich der magischen Mütter: Untersuchung über die Frauen in den afro-brasilianischen Besessenheitskulten Candomblé, in: Verlag für Interkulturelle Kommunikation, Frankfurt/M. 1991 (Wissenschaft und Forschung; Bd. 18).
- Pollack-Eltz, Angelina: Trommel und Trance. Die afro-amerikanischen Religionen, in: Khoury, Adel, Theodor [Hrsg.]: Kleine Bibliothek der Weltreligionen, Bd. 2, Freiburg 2003. 145- 190.
- Reuter, Astrid: Voodoo und andere afroamerikanische Religionen, München 2003.
- Maik Sadzio: Gespräche mit den Orixás: Ethnopsychoanalyse in einem Terreiro in Porto Alegre/Brasilien, Transkulturelle Edition München, 2. Aufl. 2012. ISBN 978-3842355095
Text aus Wikipedia, Candomble